Aufgrund seiner vielfältigen Erzeugungs-, Transport-, Speicher- und Anwendungsoptionen ist Wasserstoff ein einzigartiger Energieträger zur sektorübergreifenden Dekarbonisierung. Dies gilt vor allem dann, wenn er CO2-neutral produziert wird. Aus diesem Grund wurde durch die Bundesregierung im Juni 2020 die Nationale Wasserstoffstrategie (NWS) ins Leben gerufen, die den Rahmen für die wirtschaftliche und nachhaltige Erzeugung, den Transport und die Nutzung von Wasserstoff schaffen soll.
Deutschland soll international zu einem führenden Anbieter von Wasserstofftechnologien werden. Ein wichtiger erster Schritt ist der Aufbau eines inländischen Wasserstoffmarktes. Für das Jahr 2030 wird der Wasserstoffbedarf in Deutschland auf ca. 90 bis 110 TWh geschätzt.1 Das ist rund ein Zehntel des Energiebedarfs, der heute durch Erdgas gedeckt wird. Entscheidend wird dabei sein, dass es ein ausreichendes Wasserstoffangebot gibt und dass dieses CO2-neutral produziert wird. Allerdings kann der für die nächsten zehn Jahre absehbare Bedarf nur zu einem geringen Anteil durch inländische Erzeugungskapazitäten aus erneuerbaren Energien (grüner Wasserstoff) gedeckt werden. Denn der stockende Ausbau der erneuerbaren Energien hemmt den Aufbau einer rein „grünen“ Wasserstoffwirtschaft, die große Mengen an Strom aus erneuerbaren Energiequellen erfordert. Zudem konkurriert die Wasserstoffelektrolyse unmittelbar mit alternativen Dekarbonisierungsoptionen wie der Elektrifizierung des Industrie-, Verkehrs- oder Wärmesektors. Außerdem gibt es hier ein „Henne-Ei-Problem“: Noch ist die Nachfrage nach CO2-neutralem Wasserstoff gering, wodurch die Anreize für potentielle Erzeuger fehlen, beispielsweise in Wasserstoff- Elektrolyse zu investieren.
In den Fokus rücken andere CO2-neutrale Herstellungsverfahren wie Pyrolyse, Carbon Capture and Storage (CCS) oder Carbon Capture and Utilization (CCU), um für eine Übergangszeit ihren Beitrag zur Deckung des hohen Bedarfs an Wasserstoff und damit zum Aufbau einer funktionierenden Wasserstoffwirtschaft zu leisten. Besonders vielversprechend sind dabei Verfahren auf Basis von Methan (blauer und türkiser Wasserstoff). Mit Hilfe der so genannten Methanpyrolyse kann Wasserstoff ohne CO2-Emissionen produziert werden. Dabei wird Erdgas bzw. Methan in seine Bestandteile zerlegt, ohne CO2-Emissionen. Dies geschieht in einem Reaktor durch Hitzeeinwirkung unter 800-1200 Grad, wodurch die Methan- Moleküle in ihre elementaren Bestandteile zerfallen. Am Ende des Pyrolyseprozesses fallen Wasserstoff und fester schwarzer Kohlenstoff an. Kohlenstoff wird beispielsweise bei der Produktion von Stahl, Batterien oder Kohlenstofffasern und zur Verstärkung von Baumaterial benötigt. Der hergestellte Wasserstoff kann u.a. in der Industrie, für den Transportsektor und für private Haushalte (Strom- und Wärmeerzeugung) verwendet werden.
Mit Blick auf die begrenzten Erzeugungskapazitäten von grünem Wasserstoff ist daher eine Technologieoffenheit, die auch blauen oder türkisen Wasserstoff berücksichtigt, für einen zügigen Markthochlauf bzw. eine hohe Marktdurchdringung mit Wasserstoff von zentraler Bedeutung. Hinzu kommt, dass aus heutiger Sicht auch 2050 noch mehr als die Hälfte des deutschen Endenergiebedarfs durch Importe, insbesondere CO2-neutrale synthetische Gase und Kraftstoffe, gedeckt werden muss. Vor diesem Hintergrund sollte auch langfristig auf Technologieneutralität bei der Erzeugung CO2-neutralen Wasserstoffs gesetzt werden, um eine ökonomisch effiziente Erreichung der Dekarbonisierungsziele zu gewährleisten.
Der Weg zu einer effizienten Wasserstoffwirtschaft beinhaltet viele Herausforderungen. Das gilt auch und vor allem für die Herstellung von Wasserstoff. Technisch liegen die Lösungsoptionen auf dem Tisch. Entscheidend wird sein, das Marktgeschehen durch wirksame Impulse so in Gang zu bringen, dass sich eine Eigendynamik entwickeln kann. Der Einsatz von blauem und türkisem Wasserstoff aus Erdgas kann dabei einen sehr wichtigen Beitrag zur Deckung des hohen Bedarfs und zum Aufbau einer funktionierenden Wasserstoffwirtschaft leisten. Erdgas ist „H2-ready“!
1 Bundesministerium für Wirtschaft und Energie: Die Nationale Wasserstoffstrategie, Juni 2020, S. 5 und S. 3.
Link: www.bmwi.de/Redaktion/DE/Publikationen/Energie/die-nationale-wasserstoffstrategie.pdf
2 Bundesministerium für Bildung und Forschung: Eine kleine Wasserstoff-Farbenlehre, Juni 2020.
Link: www.bmbf.de/de/eine-kleine-wasserstoff-farbenlehre-10879.html