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Ohne Erdgas wird es nicht gehen

28.07.2021

Im Interview erklärt Matthias Peter, Leiter Vertrieb bei WINGAS, warum Gas im Rahmen der Energiewende unverzichtbar ist und auch in Zukunft noch aktiver mit emissionsarmen Lösungen zur Erreichung der Klimaziele beitragen wird.

Erdgas ist ein fossiler Energieträger. Welches Potenzial hat Erdgas für effizienten Klimaschutz?

Matthias Peter: Der Weg zu einer klimaschonenden bzw. klimaneutralen Energielandschaft hat unterschiedliche Facetten. Für eine erfolgreiche Energiewende muss der Rahmen aus Versorgungssicherheit, Bezahlbarkeit und Umweltverträglichkeit berücksichtigt werden. Als flexibler und klimafreundlicher Energieträger bleibt Erdgas für diese Aufgabe unverzichtbar. Als vergleichsweise kohlenstoffarmer Energieträger kann Erdgas wie kein anderer fossiler Energieträger in allen Sektoren zu unmittelbaren Erfolgen bei der Emissionsminderung beitragen. Nimmt man den Wärmesektor als Beispiel, könnten allein durch den Ersatz von Ölheizungen durch Gasheizungen in Haushalten 18 Millionen Tonnen CO2 pro Jahr vermieden werden – das sind rund 40 Prozent dessen, was im Gebäudesektor bis 2030 noch eingespart werden muss. Betrachtet man alleine die Stromerzeugung, könnte der sofortige Switch von Kohle auf Erdgas CO2-Emissionsreduzierung von über 50 Prozent mit sich bringen.


Einige Klimaschutz-Gruppen wollen den vollständigen Ausstieg aus fossilen Energieträgern und das möglichst bald. Wie reagiert Ihre Industrie auf diese Forderung?

Matthias Peter: Ich stimme dem zu, dass wir uns beeilen müssen, um die Emissionen zu verringern. Wir müssen allerdings zwischen Dekarbonisierung und Defossilisierung differenzieren. Dem IPCC folgend bedeutet Dekarbonisierung, dass wir keinen Kohlenstoff in Form von CO2 mehr in die Atmosphäre entlassen. Dekarbonisierung ist der Schlüssel zu Klimaschutz!

Wie dieses Ziel erreicht werden kann und ob auch fossile Energieträger hier eine Rolle spielen, ist eine ganz andere Frage. Oftmals wird das Ziel der Dekarbonisierung gleichgesetzt mit der Forderung, dies auf dem Weg einer vollständig auf erneuerbaren Energien basierenden Energieversorgung zu erreichen. Diese Sicht lässt die innovative Nutzung fossiler Rohstoffe ohne die Emission von CO2 unberücksichtigt. Erdgas als fossiler Energieträger eröffnet den Weg zur schnellsten und wirtschaftlichsten Dekarbonisierung. Selbst, wenn man der Dekarbonisierung die erste Priorität gibt, darf man Versorgungssicherheit und Bezahlbarkeit nicht außen vorlassen. Diesem Ziel folgend, darf man den Wettbewerb der Systeme nicht unterbinden. Die Politik muss das Ziel vorgeben, den Weg dorthin jedoch nicht!


Im Sommer hat die Bundesregierung die Nationale Wasserstoffstrategie verabschiedet. Welche Rolle wird Wasserstoff in der Energielandschaft der Zukunft spielen?

Matthias Peter: Erneuerbare Energien fallen primär in Form von elektrischem Strom an. Wasserstoff kann den Klimaschutz in Bereichen vorantreiben, die sonst nur mit viel Aufwand elektrifiziert werden können. Das gilt insbesondere für die Grundstoff- und chemische Industrie sowie für Teile des Mobilitätssektors oder im Wärmemarkt. Mit Wasserstoff hat die Bundesregierung neben Strom einen speicherbaren Energieträger für eine klimafreundliche langfristige Energieversorgung identifiziert und das über ihre Wasserstoffstrategie auch dokumentiert. Damit hat sie sich de facto von der einseitigen Ausrichtung auf eine Stromwende verabschiedet und signalisiert so, dass neben Klimaschonung auch Aspekte wie Versorgungssicherheit und Bezahlbarkeit eine wichtige Rolle spielen.


Was ist falsch daran, allein auf grünen Wasserstoff zu setzen?

Matthias Peter: Die Potenziale für erneuerbare Energien in Deutschland und Europa und damit für die Verfügbarkeit von „grünem Wasserstoff“ sind begrenzt. Sie werden für die Dekarbonisierung Europas nicht ausreichen. So geht das Fraunhofer-Institut für System- und Innovationsforschung (ISI) davon aus, dass die theoretischen Potenziale für erneuerbare Energien in Deutschland (bis zu 1.100 TWh pro Jahr) und der EU (ca. 15.000 TWh pro Jahr) unter den Aspekten der Verfügbarkeit, Wirtschaftlichkeit und Akzeptanz kaum ausreichen werden, um den Bedarf kosteneffizient zu decken.

Denn nach Schätzungen der Studie „Klimaneutrales Deutschland“ wird für Deutschland im Jahr 2040 ein Primärenergiebedarf von ca. 2.000 TWh erwartet. Damit ist der Endenergiebedarf (Deutschland ca. 1.700 TWh, EU28 ca. 9.000 TWh) stark von der Nachfrage nach Wasserstoff abhängig: Da die erneuerbaren Energien aus Wind und Sonne in Form von elektrischem Strom vorliegen, muss dieser zunächst in Wasserstoff umgewandelt werden – dies ist wiederum mit Verlusten von ca. 20 Prozent verbunden.


Wie kann in diesem Kontext eine wirtschaftliche Wasserstoffwirtschaft Realität werden?

Matthias Peter: 
Wir benötigen weitere Quellen für die Herstellung von klimaneutralem Wasserstoff – beispielsweise blauen oder türkisen Wasserstoff, die aus Erdgas gewonnen werden – wohlgemerkt ohne Treibhausgas-Emissionen! Die Erzeugung von Wasserstoff aus Erdgas mit Hilfe von Dampfreformierung und anschließender CO2-Speicherung – der sogenannte „blaue“ Wasserstoff – ist in der Praxis erprobt und kann technisch in großen Mengen verfügbar gemacht werden. 

Auch die innovative Methanpyrolyse bietet großes Potenzial, um den großen Energiebedarf in Industrie, Verkehr oder Wärmemarkt zu wettbewerbsfähigen Preisen zu sichern. Hier ist der Wettbewerb zwischen den Wasserstofftechnologien notwendig, um die besten Preise und damit einen schnellen Markthochlauf zu gewährleisten. Neben Power-to-Gas müssen weitere Verfahren gefördert werden, die CO2-neutralen Wasserstoff kostengünstig herstellen können. Darüber hinaus trifft selbst das Intergovernmental Panel on Climate Change (IPCC) in seinem jüngsten Bericht die Aussage, dass wir nicht die Zeit haben, auf den Ausbau der erneuerbaren Energien zu warten. Wir müssen jetzt alle verfügbaren Technologien nutzen – und das IPCC erwähnt ausdrücklich die CO2-Sequestrierung, also das Abfangen und Einlagern von CO2 aus industriellen Prozessen.


Welche Position nehmen Ihre Kunden in Bezug auf die Nationale Wasserstoffstrategie ein?

Matthias Peter:
 Unsere Industriekunden sehen in der Nutzung von Wasserstoff die Möglichkeit, die Klimaschutzziele beim gleichzeitigen Erhalt der industriellen Wertschöpfung zu erreichen. Da viele dieser Kunden international agieren, spielt auch die Wettbewerbsfähigkeit eine essentielle Rolle. Die Technologie- bzw. Farbenoffenheit bei Wasserstoff spielt dabei eine zentrale Rolle, insbesondere bei dem Markthochlauf. Der Wechsel zu viel mehr erneuerbaren Energien bringt einen starken Anstieg des Strombedarfs mit sich. Der Erneuerbare Strom reicht aber bei weitem nicht aus, um unser gesamtes Energiesystem – auch über den Wasserstoff aus der Elektrolyse – zu dekarbonisieren. 

Wasserstoff aus fossilen Quellen – wohlgemerkt produziert ohne CO2-Emissionen – wird uns dabei helfen, unseren Kunden den Rohstoffwandel und -wechsel zu ermöglichen. Diese Möglichkeiten sollten unterstützt werden. Stahlunternehmen könnten ihre Produktionsprozesse um bis zu 95 Prozent oder sogar komplett dekarbonisieren, wenn sie Wasserstoff statt Kokskohle einsetzen würden. Für die chemische Industrie ist Wasserstoff außerordentlich wichtig. Laut dem Verband der Chemischen Industrie soll der Wasserstoffbedarf bis 2050 auf das Sechsfache ansteigen, um das Ziel der Dekarbonisierung in der deutschen Grundstoffchemie zu erreichen. Woher aber sollen diese enormen Mengen Wasserstoff kommen und was darf dieser kosten? Eine kostengünstige, emissionsfreie Wasserstoffversorgung ist hier notwendig. Wenn wir auf blauen und türkisen Wasserstoff heute setzen, wird die Dekarbonisierung am schnellsten vorangetrieben.